Entdeckungsreise …

Da hört man also, in der Bludenzer Innenstadt sei am Sonntag nichts los. Als ich diesen Artikel im vorletzten BLUDENZER las, mußte ich lachen und begriff zum ersten Mal, wieso unser Herr Chefredakteur meine Kolumne „Briefe aus der Provinz“ nannte: denn in Wien ist am Sonntag auch nichts los.

Es ist ja nicht so, dass man keine Leute sieht, aber die Plätze sind überfüllt und deshalb schon wieder uninteressant. Viele Menschen heissen noch lange nicht, dass „was los“ ist. So ist ein Besuch des Schönbrunner Zoos ein reines Sprachtraining: von Italienisch über Suaheli und – natürlich – Wienerisch hört man alles, wenn man sich an der etwa dreißig Meter langen Schlange vor der Kassa anstellt und hin- und herdrängelt, um dann endlich Mitleid mit den Elefanten bekommen zu dürfen.

Auch die Steinhofgründe, ein herrlich weites Paradies am Rand der Stadt, in dem man lange Spaziergänge durch Wald und Wiese unternehmen kann, sind am Sonntag uninteressant: man findet dort keinen Parkplatz und die Busse dorthin sind am Sonntag so überfüllt wie die U-Bahn am Montag zur Stoßzeit.

Und die Donauinsel ist nur mehr für „Lässige“ da, und um lässig genug zu sein, müsste man sich Rollerblades umschnallen. Das ist mir aber nach einer anstrengenden Arbeitswoche entschieden zu viel.

Also in die Innenstadt. Hier kann man sich wenigstens Schaufenster mit Sachen ansehen, die man als vernünftiger Mensch in seinem Leben nie kaufen würde, weil man sie erstens nicht braucht und weil zweitens der Preis an Wucher grenzt. Anstellen darf man sich aber trotzdem: bei den Bankomaten. Vor allem bei dem vor dem Hotel Sacher, wenn einem die aberwitzige Idee kommen sollte, im Sacher einkehren zu wollen. Schon ein paar Frankfurter kosten dort nämlich 80 touristengerechte Schilling.

Man hat also die Wahl: übervölkerte Natur oder übervölkerte Touristenstadt. Und die Mär vom kulturellen Wien stimmt zwar sonst oft, aber kaum am Sonntag: entweder ist das Wetter zu schön für das Museum oder eine Theatervorstellung, oder es ist genauso schlecht wie das, was geboten wird.

Man kann im sonntäglichen Wien zwar zu jeder Zeit überall in ein Lokal gehen; aber wen interessieren rauchige Spelunken mit grauen Nachtschattengewächsen am freien Tag?

Deshalb fuhr ich am letzten Sonntag einfach los und wünschte mir Hügel, Wald, Wiese, Schneeglöckchen und zum Schluss ein biederes Familienschnitzel in einem nach Fett riechenden Landgasthaus. Klingt nett, gell? War´s aber nicht. Denn ich fuhr eineinhalb Stunden aus der Stadt hinaus und fand noch immer keinen Ort, an dem nicht schon zuviele Autos geparkt hatten oder zuviele Ausflügler spazierten. Das liess nun einige Schlüsse zu:

1) Ich bin schon zu lange in Wien.

2) Zuviele Menschen sind schon zu lange in Wien.

3) Ich kenne hier trotzdem noch keine schöne Gegend, in der man einen Sonntag nett verbringen kann.

4) In Vorarlberg hätte ich wenigstens schifahren gehen können, anstatt in Wien mit Diesel die Luft zu verpesten.

Um nicht trübsinnig zu werden, fuhr ich heim und spazierte einfach durch meinen Bezirk, während ich mir vorstellte, wie es wäre, jetzt in Los Angeles zu sein. Denn meine Erfahrung legte mir Schluß 5) nahe, und dabei blieb ich auch: Wo immer man sich gerade aufhält, man ist nach einer bestimmten Zeit nicht mehr zufrieden und glaubt, woanders wäre es aus irgendwelchen Griinden schöner und besser. Und geht deshalb an den Schönheiten, die einem vor der Nase liegen, vorbei.

DAS ist los!
Markiert in:                         
Wie sprechen Menschen mit Menschen? Aneinander vorbei.”
Kurt Tucholsky, dt. Schriftsteller (1890-1935)
GrohsFORMAT benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit dieser Webseite zu verbessen. Wenn Sie mit Ihrem Besuch auf dieser Website fortfahren, nehmen wir an, dass Sie mit der Verwendung von Cookies einverstanden sind.