Ovi lacht …

In Wien ist es schon lange soweit: das Christkind ist da. Nun war ich leider schon längere Zeit nicht in Bludenz und weiß daher nicht, wie weit im Städtle die Vorbereitungen gediehen sind, um zu vergleichen. Hier jedenfalls ist mir eines klar: Würde ich morgen einen der bereits überall verfügbaren Christbäume aufstellen und behaupten, es sei Weihnachten – mein Kind würde mir bedingungslos glauben, die Erwachsenen würden freudig mitspielen und man hätte wieder etwas zu lachen.

Schon Ende Oktober wurde in einer Einkaufsstraße in unserem Viertel die Weihnachtsbeleuchtung aufgehängt: keine Lichterketten wie in meiner Kindheit, sondern protzige, riesengroße Sterne mit Schweifen in jede Himmelsrichtung, behangen mit Flitter und falschem weißen Schnee. Ich fand das Bild bizarr: vor einem herbstlich roten Abendhimmel, der nun nicht einmal mehr richtig zur Geltung kam, stand ein gelber Kranwagen und darauf sah man Männer in der „Blauen”, die die himmlische Arbeit verrichteten. Meiner Tochter konnte ich noch weismachen, dass der Bürgermeister entschieden habe, die Straßenbeleuchtung auszubauen, denn dem wurde das Bild noch eher gerecht als einer weihnachtlichen Geschichte mitten im Herbst.

Meine Erklarung war eine Notlüge im klassischen Sinn: ich wollte kein Geheimnis preisgeben und hatte zu wenig Zeit, mir eine stichhaltigere Erklärung auszudenken.

Eines Besseren wurde ich belehrt, als an einem anderen Abend die Sterne bereits das Herbstlaub beleuchteten, denn meine Tochter wußte quasi von selbst, dass das Christkind das Licht brauche, um seinen Weg zu finden.

Bald danach wurde der Christkindlmarkt am Rathausplatz eröffnet. Ich habe Gott sei Dank die Möglichkeit, diesen Platz wenigstens jetzt noch zu meiden. Nun hatte ich in einem Spielzeuggeschäft ein Geschenk für ein Geburtstagskind zu besorgen, und als der Verkäufer das bunte Teil einpackte, erklärte er uns mit blumigen Worten, am „Christkindlmoagt” seien genau diese Spielsachen doppelt so teuer, er habe es genau gesehen. Logische Frage: „Mami, warum verkauft das Christkind die Sachen so teuer?“

Als wir vor etwa drei Wochen den ersten Christbaum in einem Geschäft sahen – meine Ablenkungsmanöver waren zwecklos – schrie meine Tochter begeistert: „Schau, Mami, sowas habe ich auch bei meinem Geburtstag gehabt.“ Im März? Wieder galt es, zu erklären. Dafür atmete ich auf, als wir kurz danach im Lebensmittelgeschaft genau in Kindernasenhöhe Schokoladennikoläuse entdeckten, denn meine Tochter hielt sie schlichtweg für Könige. Seither will sie nur leider bei jedem Einkauf so einen König haben, und ich kämpfe mit der Ratlosigkeit, was ich ihr denn in den Nikolaussack stecken könnte. Etwa eine Prinzessin?

Ja, Lebkuchen kommt in den Nikolaussack, schon allein wegen seines Geruchs. Im Geschäft fand ich, zwei Wochen vor dem 6. Dezember, keinen. So fragte ich eine Verkäuferin danach und bekam die Antwort: „Lebkuchen haben wir schon lange keinen mehr, weil, wir haben heuer ja schon so früh angefangen …“

Was waren das für Zeiten, als unser Nikolaus kam und wir grenzenlos über diesen Besuch erstaunt waren! Dass irgendwann plötzlich die Wohnzimmertüre versperrt war und am Abend dann eine Glocke zum Weihnachtsfest läutete, war für uns Mystik und Überraschung. Damals wurde zu Weihnachten daheim selbst in unserem religionsfreien Haushalt jene Bibelstelle vorgelesen und mit roten Ohren und glänzenden Augen aufgesogen, die wir unseren Kindern heute schon im wienerischen November als „Geschichte“ präsentieren – oder die im Gegenteil gar keiner mehr kennt.

Solange wir „es“ nicht verstanden, bedeutete für mich das „Christkind”: ein pochendes Herz, begeisterte Selbstvergessenheit und ein Gefühl, nach dem ich nun schon lange suche. Als uns die Bedeutung des Festes dann klar war, waren wir immer noch zuerst einmal froh, dass wir alle zusammen so ein schönes Fest mit wunderbarer Bedeutung feierrn, und dann erst kamen die Geschenke.

Nun werden Kinder ab Oktober auf Geschenke hingewiesen und auf Konsum gedrillt. Eine Bekannte wollte meiner Tochter letzthin allen Ernstes einen Spielzeugkatalog als Mitbringsel andrehen, „… damit Du was für´s Christkind aussuchen kannst“ (fragende Augen des Kindes: aber ICH bekomme doch Geschenke zu Weihnachten, was soll ich für das Christkind denn aussuchen?).

Man muss heute versuchen, dem Kind zu erklären, warum Weihnachten zwar in der Stadt jetzt schon stattfindet, daheim aber noch nicht. Und dann dürfen die Eltern zaubern, damit am 24. wenigstens noch ein Teil von der besonderen Stimmung aufkommt und das Kind den Sinn des Festes lernt. Ich erinnere mich noch gut an meine Schulaufsätze über die Adventszeit und bin leider überzeugt, dass die meiner Tochter anders aussehen oder gar nicht mehr verlangt werden.

Keine Frage, das Christkind ist schon seit langer Zeit in Wien. Vielleicht wohnt es hier sogar das ganze Jahr über? Als meine Tochter im Juli von einem netten Verkäufer aufgefordert wurde, doch ein Liedchen zu singen, sang sie mit damals knapp drei Iahren unbedarft „Ihr Kinderlein kommet”.

„Gut für´s Geschäft“, grinste der Zuhörer.

Stimmt …

Weihnachten, illusionslos
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Wie sprechen Menschen mit Menschen? Aneinander vorbei.”
Kurt Tucholsky, dt. Schriftsteller (1890-1935)
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